I do because I can. – I can because I want. – I want because you told me I couldn’t! –

Die Frage nach dem Sinn tiefenpsychologischer Psychotherapie

Noch gar nicht so lange her, da erhielt ich von einem jungen Menschen eine mail mit diesem Text (Auszug):

„…und die Welt wird einen drastisch anderen Blickwinkel auf alles bekommen, was wir machen, wie wir denken, fühlen und arbeiten.Und ich bin mir sicher, dass ich recht behalten werde. Ich glaube auch daran, dass sich in Zukunft für uns alles ändern wird. Auch wenn es jetzt vllt noch sehr utopisch erscheint, dass eines Tages die Menschen um uns herum auf uns schauen werden, und keine Krankheit oder Störung sehen werden, wird es genau so kommen. … (und) für all jene, die Sätze wie diesen belächeln und wohlwollend abtuen wollen, naja, seht euch an wer die grossen Köpfe der Vergangenheit waren: Sokrates, Platon, Aristoteles? – Eigenbrötler, Absonderliche Gestalten die erst lange nach ihrem Tod die Anerkennung bekamen, die ihnen zustand. Goethe, Schiller, jeder x-beliebige Schriftsteller der Geschichte? – Zu ihren Lebzeiten und auch danach mit allen möglichen „Krankheiten“ betitelt. Leonardo da Vinci? Einstein? Elon Musk? Steve Jobs? – Niemand war „normal“.
Wenn die Unfähigkeit inkompetenter, „normaler“ Menschen, zu erkennen und divergierende Meinungen zu diskutieren, dazu führt, dass wir uns verunsichern lassen, dann passiert genau das, was all die letzten Jahre passiert ist und dem Fortschritt im Weg steht. Ich würde mich umso mehr in das stürzen, was wir genau diesen Leuten hinterlassen können. Die Erkenntnisse, Ideen und – ja – auch eigene Meinungen. Denn genau das ist das, was am Ende zählt.

Der Absender beschreibt oder umschreibt da etwas, das andere gern etwas belächeln, etwas spöttisch auf die schauen, die nicht-so-wie-ichnicht-so-wie-wirnicht-so-coolsind. Und ich meine damit nicht nur die „Jugend“, sondern auch die „Älteren“, die Etablierten, die die-es-geschafft-haben und somit anscheinend das Recht erworben, auf andere herabzuschauen, auf die Anderen…

„Ich bin anders!“, wer traut sich denn solch einen Satz zu sagen? Andererseits natürlich, wer will schon ein „Normalo“ sein? Wer kleidet sich schon im gleichen Style wie alle anderen, wer geht denn schon in Tracht auf die Wies’n, wer würde denn schon auch stolz auf Freunde sein, die – obgleich großartige Menschen – anders“ sind?

„Ich bin ein Lost-Planet-Child“, sage ich in einer Runde Kollegen, die ich schon länger kenne. Sie nicken und einer meint, das habe er sich schon gedacht. Aber alle finden das höchst spannend und wollen drüber diskutieren…“Schöne Phantasie“, denkst du, und „Träum weiter!“, denn so etwas würde nie passieren. In unserer Gesellschaft bestimmt nicht! – In anderen vielleicht?

Anzeige in der Zeitung: „Leben 3.0 – Künstliche Intelligenz ist unsere unausweichliche Zukunft.“ – Doch wird sie sich des Menschen entledigen? Oder zu seiner Weiterentwicklung beitragen? Ist das die Lösung all unserer menschlich-gesellschaftlichen Probleme? Künstliches „Leben“, das dann völlig wert(e)frei existiert?

Ist also die Lösung für „Anders-Sein“ – wie immer das aussehen mag – wieder doch die Anpassung an den mainstream, wie die gleichen, immer funktionsbereiten KI-Roboter?

Aber das anfangs erwähnte Zitat zeigt uns einen anderen möglichen Weg:
Es ist von einer grundsätzlichen Veränderung die Rede, der „Blickwinkel“ muss sich ändern, die Begriffe „Störung“ und „krank“ nicht mehr benutzt werden, um für „Erkenntnisse, Ideen und – ja – auch eigene Meinungen“ Platz zu machen. Und geht es nicht genau darum? Nämlich erwartungsfrei auf andere Menschen zuzugehen. Die „Bretter vorm Kopf“ zu entfernen, die ständig einzuflüstern versuchen: nicht normal, abartig, krank, gestört, unfähig/ungeeignet, haben wir schon versucht – geht nicht, kann man nicht verstehen, muss dressiert/trainiert werden, usw. usw. …Wenn wir selbst akzeptiert werden wollen, dann wäre es doch auch ein möglicher Weg, andere als das zu sehen, was sie sind und sie nicht in Kategorien einzuordnen.

Nehmen wir beispielhaft einige dieser bekannten „Störungen“: die Asperger mit ihrer „tiefgreifenden Entwicklungsstörung“, die Homosexuellen mit ihrer „Abartigkeit“ und die Mongoloiden mit ihrer genetischen „Störung“. Aber auch Afrikaner haben – von uns Westeuropäern aus gesehen – eine genetische „Störung“, die ihr Aussehen und ihre Hautfarbe verändert. Die haben Glück, sie werden nur noch als Menschen zweiter Klasse, nicht mehr unbedingt als gestört angesehen.
„Störung“, „behindert“ sind sehr willkürlich und sehr zeit- und gesellschaftsbezogene Kategorien. Was macht es vielen Menschen so schwer, ein Anders-Sein zu akzeptieren so wie es ist?
Das „Problem“ mit diesen Menschen ( wenn es denn ein Problem ist) ist doch ein zweiseitiges: weil die einen sie nicht verstehen, weil die anderen Erwartungen und Anpassungdruck nicht erfüllen können, weil Gefühle und Rationalität beider Seiten scheinbar keinen gemeinsamen Weg haben,  – darum werden aus ihnen Behinderte, Gestörte und Kranke (gemacht!). Sie brauchen keine Behandlung, sie brauchen Verständnis und den Willen, gemeinsam leben zu wollen, ohne Konformität. Aber gerade das macht Angst und dagegen hilft ein Krankheitsschema.

Wir geben Stürmen Namen, um uns die Angst vor ihnen zu nehmen, und so werden Namen, Kategorien, Schemata verteilt, um Menschen weniger angsteinflößend erscheinen zu lassen! Dann lässt sich jemand eine Therapie einfallen (ist ja Krankheit!), mit der unsere Kategorien, unser Denken den Menschen übergestülpt wird.
Was sagt das über die so Behandelten aus? nur, dass sie irgendwie „anders“ sind!
Was sagt das über die so Behandelnden aus? sie haben Angst vor allem, was „anders“ ist!

Und damit geben sich dann die meisten Menschen zufrieden, weil auch sie ja nicht verstehen, aber oft auch nicht verstehen wollen.

Wie sagt der Text am Anfang:
„…seht euch an, wer die grossen Köpfe der Vergangenheit waren: Sokrates, Platon, Aristoteles? – Eigenbrötler, Absonderliche Gestalten…Leonardo da Vinci? Einstein? Elon Musk? Steve Jobs? – Niemand war ’normal’…“